Landesverbandstag 2023 in Balingen

„Motivieren statt Drangsalieren“

„My home is my castle“, mein Haus ist meine Burg – das war gestern. Mit der politisch verordneten Wärmewende greift der Staat ab dem kommenden Jahr massiv ein und bestimmt, was in deutschen Heizungskellern zu passieren hat. Ein Ärgernis für viele Eigentümer, wie sich beim Landesverbandstag von Haus & Grund Württemberg in Balingen offenbarte. „Wir haben in Deutschland eine atemberaubende Irrationalität in der Energiepolitik“, kritisierte der Landesverbandsvorsitzende Michael Hennrich, der für 56 Ortsvereine mit 108.000 Mitgliedern spricht.

In Baden-Württemberg nennen die Mitglieder von Haus & Grund 1,2 Millionen Immobilien ihr Eigen. Hennrich fürchtet, dass mit den Plänen „eine gewaltige und unwiderrufliche Vernichtung von Vermögen“ einher geht. Auch die Hauptrednerin der öffentlichen Kundgebung sparte nicht mit deutlicher Kritik: „Was die Bundesregierung da macht, ist Politik aus dem Elfenbeinturm“, sagte Nicole Razavi, Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen in der grün-schwarzen Landesregierung.

„Hereinspaziert, denn in der Stadthalle Balingen ist die Unterhaltung zu Hause“, heißt es auf der Internetseite einer hübschen Veranstaltungsherberge, zu der jetzt mehr als 600 Haus- und Grundbesitzer aus dem ganzen Land pilgerten, um nach drei Jahren Pause wieder einen Verbandstag abzuhalten. Was sich drinnen auf der Bühne abspielte, hatte freilich weniger mit unterhaltsamer Fiktion als mit bitter ernster Wirklichkeitsbeschreibung zu tun. Denn die politische Großwetterlage ist für private Immobilieneigner und solche, die es vielleicht werden wollen, in diesen Tagen ziemlich regnerisch.

Ein Thema, mit dem sich auch der amtierende Balinger Oberbürgermeister Helmut Reitemann von Berufs wegen beschäftigt. Balingen sei in den vergangenen sieben Jahren um fast 2000 Einwohner gewachsen, sagte der scheidende Rathauschef in seiner Begrüßungsrede. „Die Versorgung mit Wohnraum ist bei uns ein großes Thema. Aber jetzt zeigt sich, dass viele Bauanträge nicht ausgeführt werden.“ So mancher Bauwillige hält sich wegen veränderter Rahmenbedingungen zurück. Gestiegene Zinsen, höhere Baukosten – das hinterlässt Spuren auf dem Markt, die weitreichende Folgen haben für die ohnehin angespannte Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum. „Wir schlittern auf eine massive Krise im Wohnungsbau zu“, so Reitemann, der sein kurzes Statement eloquent nutzte, um für eine Stadt zu werben, die nicht nur die Gartenschau ausrichtet und viele Kultur-Highlights bietet, sondern auch in der boomenden Innenstadt keinen einzigen Leerstand verzeichnet, was der Oberbürgermeister nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es in seiner Stadt 3000 gebührenfreie Parkplätze gibt. In Balingen wird also durchaus einiges bewegt. Das gilt auch für den Ortsverein von Haus & Grund, der zwar nur 200 Mitglieder zählt, jedoch trotzdem den diesjährigen Landesverbandstag ausrichtete. „Wir sind klein, aber das hält uns nicht davon ab, groß zu denken“, sagte die Vorsitzende Iris Renner, hauptberuflich Fachanwältin unter anderem für Mietrecht.

LV-Tag 2023 Iris Renner, Vorsitzende von Haus & Grund Balingen

Iris Renner
Vorsitzende von Haus & Grund Balingen

LV-Tag Helmut Reitemann, Oberbürgermeister von Balingen

Helmut Reitemann
Oberbürgermeister von Balingen

LV-Tag 2023 Nicole Razavi MdL, Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen

Nicole Razavi MdL
Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen

Rechtliche Auseinandersetzungen könnte es angesichts der politischen Eingriffe in die Souveränität des Hausbesitzers in Zukunft öfter geben. 65 Prozent soll laut Bundesregierung ab dem nächsten Jahr der Anteil erneuerbarer Energien betragen, mit dem neue Heizsystem betrieben werden. Dazu muss man wissen, dass derzeit von 41 Millionen deutschen Haushalten mehr als 20 Millionen mit Gas heizen, zehn Millionen mit Öl. Dies macht die gesamte Dimension deutlich und bringt auch den Landesverbandsvorsitzenden von Haus & Grund Württemberg auf die Palme. Zwar zeigte Michael Hennrich einerseits Verständnis für einen durch den Klimawandel notwendigen Kurswechsel, und verwies auf die Verantwortung dieser Gesellschaft für künftige Generationen. Zugleich kritisierte er den überzogenen Zeitplan, alles sofort und gleichzeitig umzusetzen. „Die Politik muss handeln, aber wichtig ist: Sie muss die Menschen mitnehmen und überzeugen“, sagte Hennrich. Was nicht helfe, seien staatlicher Zwang mit der Brechstange und Verbote bis ins kleinste Detail. „Motivieren statt Drangsalieren“, sei die bessere Strategie.

Auch wenn es Zuschüsse für neue, klimafreundliche Heizungen von bis zu 30 Prozent geben soll und Härtefallregelungen angedacht sind, wonach beispielsweise ein Eigentümer, der das 80. Lebensjahr erreicht hat, befreit wird von den Vorgaben, so steht getrieben von grünem Polit-Übereifer gleichwohl eine Reform an, die alles auf den Kopf stellt, was beim Heizen in deutschen Wohnstuben bisher galt. Milliardeninvestitionen auch und gerade von privater Seite werden erforderlich sein und viele Immobilienbesitzer schlimmstenfalls in einem Maße belasten, dass auch Verkäufe drohen oder Vermieter ihre Wohnungen leer stehen lassen, weil sie sich die aufgezwungene Sanierung so nicht leisten können. Was solle mit einem 75-jährigen Rentner geschehen, der mit einer Monatsrente von 1800 Euro auskommen muss und sein in die Jahre gekommenes Mietshaus als Altersvorsorge nutzt?, fragte Hennrich in den Saal. Wie könne das funktionieren bei steigenden Preisen für Energie oder für die Krankenversicherung? Der Markt sei ohnehin schon belastet und so würden Auguren auf dem Immobilienmarkt bereits dazu raten, die Finger von unsanierten Eigentumswohnungen und Mehrfamilienhäusern zu lassen. „Es kann nicht sein, dass die Energiewende das Verarmungsprogramm der Mittelschicht wird“, sagte Hennrich, der seit 2008 ehrenamtlicher Vorsitzender von Haus & Grund Württemberg ist. Die aktuelle Wärmewende der Regierung sei nicht weniger als eine „unwiderrufliche Vernichtung von Vermögen“. Es stehe zu befürchten, dass auf diese Weise „viele Menschen im Alter um ihr Lebenswerk gebracht werden“.

LV-Tag 2023 Nicole Razavi MdL, Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen

Der in Balingen geborene CDUPolitiker, der zwanzig Jahre den Wahlkreis Nürtingen im Bundestag vertreten hat, erinnerte daran, dass 2022 für Wärmepumpen ein Rekordjahr gewesen sei. Insgesamt 230.000 Anlagen seien eingebaut worden. Inzwischen gebe es lange Wartezeiten, weil Produktionskapazitäten fehlen und Lieferketten unterbrochen sind. Dies sei aber nur ein Teil der kostspieligen Reformpläne. Von 2024 an sollen 500.000 neue Wärmepumpen pro Jahr installiert werden, bei geschätzten Einbaukosten von 30.000 Euro je Wärmepumpe. Da komme ein Betrag von rund 15 Milliarden Euro zusammen. Die Immobilienwirtschaft fordere vor diesem Hintergrund, so Hennrich, ein schlüssiges und gutes Konzept zur finanziellen Förderung, „auf das sich alle Bürgerinnen und Bürger verlassen können“. Wie eine Verdoppelung der Produktionskapazitäten für Wärmepumpen gestemmt werden könne, sei fraglich. Noch fraglicher sei, wie doppelt so viele Monteurstunden ermöglicht werden könnten. Schon heute sei es schwierig, die entsprechenden Fachleute zu finden. Tatsächlich sei die Zahl der Beschäftigten im Sanitär- und Heizungsbau in den letzten Jahren um 10 Prozent gefallen. 22 Prozent der Mitarbeiter stünden in absehbarer Zeit vor dem Ruhestand. Besserung zeichne sich nicht ab, der dramatische Rückgang der Beschäftigten im Handwerk werde sich weiter verschärfen, prognostizierte Hennrich. Zugleich soll die Zahl der Installationen verdoppelt werden. Solche Rechnungen könne man vielleicht aufmachen, wenn man Philosophie studiert habe, fuhr Hennrich mit einer kleinen Spitze gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen fort, „nicht aber wenn man eine Lehre als Kaufmann gemacht oder Mathematik studiert hat“. Hennrich streifte auch das Thema der Energieversorgung. Binnen kürzester Zeit sollen die Deutschen elektrisch fahren und auch noch elektrisch heizen und zugleich würden die Atomkraftwerke abgeschaltet. „Man kann vielleicht auf den einen oder anderen konventionellen Energieträger verzichten. Aber nicht alles auf einmal. Augen zu und durch – das ist das falsche Programm.“

Für Hennrich ist klar, dass die politischen Weichen auf dem Wohnungsmarkt in Berlin falsch gestellt werden. Immobilienbesitzer seien in diesem Land ohnehin über Gebühr belastet. „Laut Statistischem Bundesamt haben sich Wartung und Reparatur von Wohnungen innerhalb der letzten zwölf Monate um mehr als 16,7 Prozent verteuert“, bemängelte Hennrich. Hinzu komme, dass in der Ukraine ein folgenschwerer Krieg tobe und viele Hausbesitzer schnell und unbürokratisch geholfen hätten, indem sie Geflüchteten Zuflucht gewährten. Der Markt sei auch deshalb unter großem Druck, zugleich zögen sich immer mehr Investoren zurück, weil die Rahmenbedingungen schlechter geworden seien. So werde der Wohnraummangel von Tag zu Tag dramatischer. Und dann komme noch das Land mit einer Grundsteuerreform. „Warum in Gottes Willen werden damit die Eigentümer belästigt“, kritisierte Hennrich. „Der Staat hat alle Daten, warum schafft er es nicht, sie zusammenzuführen?“ Nicht minder ärgerlich sei es, dass Bürgerinnen und Bürger mit komplizierten Formularen gegängelt würden, Land und Kommunen aber vielfach die Fristen hätten verstreichen lassen, um für ihre eigenen Immobilien die erforderlichen Werte zu melden. Das habe „die Leute in Rage gebracht“.

Wie gut, dass die fürs politische Großthema Wohnen zuständige Ministerin in diesem Jahr Gastrednerin beim Landesverbandstag von Haus & Grund war. Nicole Razavi verteilte erst einmal reichlich Balsam für die wunden Seelen der Häuslesbauer. „Sie sind in der wohnungspolitischen Landschaft eine echte Macht“, sagte die CDU-Politikerin an die Adresse der angereisten Eigentümerinnen und Eigentümer. Als Schlüsselakteure nähmen die Immobilienbesitzer ihre soziale Verantwortung ernst. „Dem anständigen schwäbischen Privatvermieter geht es nicht um den maximalen Profit, sondern um die Schaffung von Werten“, sagte Razavi. „Reich werden Sie durch ihre Mieteinnahmen gewiss nicht.“

LV-Tag 2023 Landesverbandsvorsitzender Haus & Grund Württemberg, Michael Hennrich

Michael Hennrich
Landesverbandsvorsitzende Haus & Grund Württemberg

LV-Tag 2023 Image
LV-Tag 2023 Gruppenbild

Gruppenbild beim Landesverbandstag:
Ottmar H. Wernicke, Helmut Reitemann, Nicole Razavi MdL, Iris Renner, Landesverbandsvorsitzender Michael Hennrich (v. links)

Die Ministerin, unter deren Regie das Fördervolumen für den Wohnungsbau im Land erheblich ausgeweitet worden ist, betonte, dass die Eigentumsquote in Baden-Württemberg bei 53 Prozent liege und damit sechs Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Europaweit sei Deutschland allerdings auf dem vorletzten Platz – vor der Schweiz. „Die Stimmung in der Bauwirtschaft ist am Gefrierpunkt, konstatierte die Ministerin. 16 Prozent der Unternehmen in der Baubranche würden bereits Aufträge absagen, selbst große Player wie der EnBW machten einen Rückzieher. „Wohnungsbau ist zum Hochrisikogeschäft geworden“, erklärte Razavi. Und jede Wohnung, die nicht gebaut werde, treibe die Preise weiter. „Jede Wohnung zählt“, so die Politikerin, die daran erinnerte, dass ein Szenario droht, bei dem gut ausgebildete Fachkräfte Baden- Württemberg den Rücken kehren, weil sie sich die Mieten hier nicht mehr leisten können. Ausgerechnet in einer solchen Zeit beschließe die Bundesregierung eine Pflicht zum Heizungstausch. „Das ist kontraproduktiv. Und das ist keine kluge Politik und das ist keine Unterstützung für die Eigentümer.“

Razavi forderte einen Paradigmenwechsel und deutlich weniger Bauvorschriften. „Wir haben ein Normenwirrwar, das im Ganzen nicht zum Guten führt.“ Der Paragraphendschungel müsse gelichtet werden. Erste Schritte habe das Land bereits vollzogen. So seien Aufstockungen auf Gebäude in der Landesbauordnung erleichtert worden. „Wir müssen die Blicke mehr nach oben richten“. Zudem kündigte die Ministerin an, dass voll digitalisierte Bauanträge gesetzlich verankert werden. „Das virtuelle Bauamt Baden-Württemberg wird kommen.“ Dies spare Bürokratie und Zeit – und vereinfache das Bauen. Einzig bei der Grundsteuer widersprach Razavi den Funktionären von Haus & Grund Württemberg. Die alte Berechnungsgrundlage sei als verfassungswidrig eingestuft worden, was zum Handeln gezwungen hätte. Ziel sei es dabei nie gewesen, durch die Reform mehr Geld in die öffentlichen Kassen zu spülen. Eine Aussage, die Raunen auslöste – das sehen viele Eigentümer offenbar anders. Prompt schloss die Ministerin ihre fundierte Rede, so wie sie begonnen hatte, nämlich mit wohlwollenden Worten an die Adresse der versammelten Immobilienbesitzerinnen und Immobilienbesitzer. „Die soziale Marktwirtschaft kann ohne den Respekt vor den Eigentümern nicht funktionieren.“ Ein Befund, der im Saal denn auch auf breite Zustimmung stieß.

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